Konsumlust und Konsumterror, Wirtschaftsfaktor und Lebenszweck, das Ka De We als Zeitspiegel
Aus dem Inhalt:
In der Bibel wurden sie aus dem Tempel gejagt. Heute besitzen sie ihre eigenen Tempel - Kathedralen des Geldes, Paradiese des Konsums: Kaufhäuser. Drinnen gibt es alles, was es gibt: Hosenknöpfe, goldene Badewannen, Bonbons und Goethes gesammelte Werke, Pyramiden des Überflusses, Symbole der Lust, Träume en gros.
Träume en gros und en detail - Besichtigung kostenlos. Aber ein Kaufhaus bedeutet noch mehr: ob Plüschsessel mit Troddel oder funktionelles Gestell, ob Dirndl oder Jeans, das ist nicht nur Geschmacksfrage, das ist Weltanschauung, Glücksrezept, Ideologie.
Die pluralistische Gesellschaft, hier ist sie zu besichtigen, wahr geworden, Ware geworden. Das Kaufhaus, ein Spiegel der Zeit. Und: Das Kaufhaus ein Produkt der Zeit.
Als Berlin 1871 zur Hauptstadt wurde, wuchs die Bevölkerung in nur 25 Jahren von 500 Tausend auf 2 Millionen - gewaltige Käufermassen, deren Versorgung mit Konsumgütern völlig neue Methoden erlaubte: die industrielle Massenproduktion und --- das Kaufhaus.
Als 1907 das KA DE WE eröffnete, da war das eine ziemliche Sensation - und zwar allein wegen des Standortes: Wittenbergplatz - das war Vorort, JWD - Janz Weit Draussen.
Sehr bald zeigte sich, dass ein Kaufhaus durch seine blosse Existenz bestimmt, wo City ist und wo nicht. In Windeseile wurde aus der Tauentzienstrasse ein Einkaufsboulevard - die City des Neuen Westens.
Vom Wittenbergplatz aus eroberten sich Provinzler wie Berliner die grosse weite Welt - per Schaufenster Bummel. Ein Ausflug, der die Herzen höher schlagen liess, sogar die der Schaufenster Puppen.
43 Jahre nach der Eröffnung. Noch einmal sollte das Ka De We zum Zündfunken der Entwicklung werden.
Kurz nach der Währungsreform, als eigentlich noch niemand so recht wusste, wie was wo und ob es überhaupt weitergehen würde, da baute das Ka De We wieder auf.
Die Eröffnung muss wie ein Signal gewirkt haben - Signal für eine neue Zeit: die 50er Jahre und das Wirtschaftswunder.
Paradiesische Zeiten für Unternehmer.
Absatzsorgen, Überproduktion - solche Begriffe kamen in ihrem Wörterbuch nicht vor.
Heute sieht das schon anders aus, aber ein Kaufhaus, das 80 Jahre, 2 Weltkriege, Inflation, Bomben und wieder Inflation überstanden hat, das kann wohl gelassen in die Zukunft sehen.
Ein Bericht von Michael Plümpe, 1987, Archiv ergo-film