Fibel, Fibel - Kinderbüchern unter den Deckel gekuckt

Das kleine ABC mit doppeltem Boden. Aus dem Jahr 1987

Aus dem Inhalt:

Mit 6 Jahren beginnt der Ernst des Lebens. Mulmige Gefühle werden auf den übermäßigen Genuss aus der Zuckertüte zurückgeführt.
Fotos halten den denkwürdigen Augenblick fest, Eltern gedenken der eigenen Schulzeit, und ihre mulmigen Gefühle dabei werden schnell versteckt. Denn so lautet der Beschluss, daß der Mensch was lernen muss.

Lesen und schreiben natürlich zuerst. AAAs und OOOs und LLLs malen. Doch was als harmlos buntes Bild und Kinderreim das erste Lesebuch und bald darauf die Kinderköpfe füllt, ist ganz so harmlos nicht. Beispiel aus einem Alphabet der Kaiserzeit:

O Ton Kinderstimme – Montage

200 deutsche und 200 Fibeln aus aller Welt zeigt die Ausstellung „Fibel Fibel“ im Museum für deutsche Volkskunde. Nach Themenschwerpunkten geordnet, ergeben sich überraschende, aber auch erschreckende Einblicke darüber, was man mit ABC Schützen seit jeher veranstaltet: Unter dem Vorwand, lesen zu üben, werden die Kids auf die richtige Einstellung getrimmt.

O TON Kinderstimme

Jede Zeit versucht, über die Fibeln ihre Kinder zu gut funktionierenden Bürgern zu machen. Durch die notwendige Vereinfachung in Sprache und Bild treten wie in der Karrikatur die charakteristischen Merkmale und Absichten der jeweiligen Gesellschaft zutage. Die Fibel wird zum Zeitspiegel und im Vergleich zeigen sich bemerkenswerte Parallelen.

Bemerkenswert, daß nach dem 2. Weltkrieg die bundesdeutschen Fibeln ganz ohne politische Erziehung auskommen, während die DDR Fibeln nahtlos die Tradition der frühzeitigen politischen Dressur fortsetzen.

Doch auch hierzulande lernen die Kinder in den Fibeln nichts über die Welt, wie sie wirklich ist.

O TON Supermarkt, Schlaraffenland

Die Welt in der Fibel ist immer eine ideale, heile Welt, damals, wie heute. Eins hat sich allerdings gegen früher doch verändert: die Fibel ist nicht mehr Bibel, nicht mehr das einzige Buch, aus dem die Kinder ihr erstes Wissen beziehen: Comics, in denen Alltagskonflikte und Probleme aus der Wirklichkeit nicht weggelogen werden, machen längst der offiziellen Fibel Konkurrenz.
Und das ist, nach allem, was die Fibel Ausstellung zutage gefördert hat, auch gut so.

Ein Bericht von Michael Plümpe, 1987, Archiv ergo-film