... so viele wie dieses Jahr gab's noch nie: der erste Sommer ohne Mauer – Berlin, offene Stadt.
Aus dem Inhalt:
Berlin im August – es ist jedes Jahr das gleiche: Raus fahren die einen, rein die anderen. Aber die, die rein fahren – so viele wie dieses Jahr gab's noch nie: der erste Sommer ohne Mauer – Berlin, offene Stadt.
Sie kommen aus Osten und Süden, vom Balkan, vom Mittelmeer und über den Atlantik, und ihre Folklore bringen sie gleich mit.
Man könnte meinen, die Strandcafés am Schwarzen- und am Mittelmeer müssen dieses Jahr ohne Musikanten auskommen, denn die sind alle in Berlin. Sogar die schon als ausgestorben geltende Spezies des klassischen Stehgeigers im Hauseingang ist wieder da ! Und müht sich, wie eh und je.
Völlig neu im Programm dieses Jahr: die Ausflugspromenade am Potsdamer Platz! Auf dem einstigen Todesstreifen trommeln sich 2 Holländer warm, neue, hölzerne Wachtürme sind errichtet worden. An deren Fuß grunzen die Schweine und wühlen im Staub, direkt über dem einstigen Führerbunker. Gaukler haben den Platz besetzt, überall ihre komischen Sachen abgestellt und niemand weiß so recht, was das alles soll.
INT.
“... also eigentlich kann man sagen, daß unsere Leute auf einem Platz zusammenkommen so wie hier auf Einladung der UFA Fabrik und fangen dann an zu phantasieren.
Ja, einer sagt, ich möchte zum Beispiel eine Arbeiterwelt dort kreieren, ein anderer hat gesagt, ich möchte gern das umgekehrte Leben – hier auf dem Potsdamer Platz war einmal ein riesiges Zentrum in Europa und jetzt ist es ein toter Ort oder war ein toter Ort und wird wieder zum Zentrum Berlin, jedenfalls, vielleicht Europa, Gott weiß, und diese Umdrehung, diese verrückte Umdrehung hat auch einige von uns inspiriert...
Die einen kamen aus Amsterdam, die anderen aus Leningrad:
Dogtroep und Licedei nennen sie sich, und hier, zwischen den Welten, haben sie ihr gemeinsames Spektakel produziert - eine Show aus Feuer und Wasser, mit Schlammschlacht und bösartigen Stelzenschweinen und immer trügt der Schein: zum Beispiel die Wachtürme sind auch Wohntürme, wie diese unsinnig aber hart arbeitende Frau mit der Schaufel weiß. Einer der Türme ist nämlich ihr eigener.
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Meine Phantasie dabei ist, daß dies ist mein Haus, ich lebe hier und ich bin wie die letzte Farmerin in einer Gegend, wo die große Gebäude kommen und ich verkauf mein Land nicht und bleibe hier. Es ist wie New York, Manhattan, es gibt nur eine Bauernhof und das bleibt so
INT
Es gibt Leute, die hinterher zu uns kommen und sagen: ich habe das wunderschön empfunden aber habe wirklich nichts davon verstanden. Worum handelt es sich eigentlich. Sag ich immer: Was denken Sie und dann kommt eine Geschichte und die hören nicht auf zu reden und die haben eine Riesentraum sich ausgedacht. Und so ein Traum ist richtig. Es gibt keine falsche Traum – ein Traum ist immer richtig.
Fast 2 Stunden dauerte die Traumwelt am Potsdamer Platz, wurden Geschichten erzählt wie die von der fröhlichen Reisegesellschaft, die eine Sklavenwelt wurde oder die von den Menschen, die aus dünnen Bambusstangen ein kunstvolles Gebilde errichten wollten – vergeblich.
Doch Träume lügen nicht, sagt Hano von Dogtroep
Und am Ende verwandelt sich der Drache in einen Paradiesvogel und verschwindet in der Nacht.
Ein Bericht von Michael Plümpe, 1990, Archiv ergo-film